Wie werden traumatisierte Menschen, die vor Krieg und Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen sind, in der Region Cuxhaven unterstützt?
Diesen und weiteren Fragen gingen das Medizinische Versorgungszentrum Timmermann und Partner (MVZ) und das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN) bei einer gemeinsamen Veranstaltung am 1. September in Cuxhaven nach. Anlass war das sechsjährige Bestehen einer Psychologischen Sprechstunde für Flüchtlinge, die vom NTFN e.V. in Kooperation mit dem MVZ in Cuxhaven durchgeführt wird.
Bereits in den Jahren 2015/2016 schloss sich ein loses Netzwerk zusammen, das überlegte, wie die gestiegene Zahl an Flüchtlingen psychologisch und fachärztlich versorgt werden könne. Herr Jochen Timmermann, Gründer des MVZ, empfand schnell: „Wenn nicht wir, wer sonst?“. Jochen Timmermann gibt mit auf den Weg: „Wir sollten neugierig bleiben. Interesse zeigen, an den Dingen, die wir nicht kennen und uns auch auf Dinge einlassen, für die wir nicht auf die uns bekannten und vertrauten Ressourcen zurückgreifen können“.
2016 richtete schließlich der NTFN e.V. mit der Psychologin Claire Hofrichter die erste Psychologische Sprechstunde in den Räumen des MVZ ein. Heute wird sie von der Psychologin Maria Hurtado geleitet.
Frau Dr. med. Gisela Penteker (NTFN-Vorstand) dankte in ihrer Begrüßungsrede allen Mitstreiter*innen, die dieses wertvolle Netzwerk aufgebaut haben. Niedrigschwellige Angebote wie jenes in Cuxhaven würden Betroffenen helfen, nachhaltig Hilfe zu erhalten. Ihr Dank gilt explizit auch der Landesregierung Niedersachsen, die diese Arbeit an mehreren Standorten in Niedersachsen ermöglicht.
Herr Oliver Lottke, Landtagsabgeordneter (SPD) versprach, das Projekt zu unterstützen wo er unterstützen könne. Die psychologische Sprechstunde verringere nicht nur menschliches Leid, sondern auch medizinische Folgekosten.
Ebenso dankte Frau Christine Babacé, Bürgermeisterin Stadt Cuxhaven (B`90/Grüne) den Kooperationspartnern, mit der Psychologischen Sprechstunde das Leben einiger Menschen ein Stück verbessert und Heilung ermöglicht zu haben.
Frau Maria Hurtado, Psychologin des NTFN e.V., leitet seit fünf Jahren als Psychologin die Außenstelle Cuxhaven. Seit Start wurden mehr als 260 Geflüchtete (primär aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, und diverse andere Nationen) dabei unterstützt, bei vorliegender Traumatisierung medizinische und therapeutische Behandlung zu erlangen. Wichtig ist dabei auch die sogenannte Psychoedukation: Was bedeutet psychologische Behandlung und auch Therapie? Wie hängen körperliche und psychische Trauma-Folgesymptome zusammen? Hurtado berichtete von der heilende Wirkung, wenn sich Menschen gesehen und gehört fühlen. Viele ihrer Klient*innen hätten in der Psychologischen Sprechstunde zum ersten Mal darüber gesprochen, was sie erlebt haben. Viele Männer hätten das erste Mal überhaupt geweint.
Derzeit ist Maria Hurtado die einzige Beschäftigte der NTFN-Außenstelle Cuxhaven. Auch wenn diese Arbeit alleine eigentlich nicht zu schaffen ist, so ist ihr Leitspruch „Man kann nicht jedem helfen, aber man kann es versuchen“. Für Ihre Arbeit verleiht ihr NTFN-Geschäftsführerin an jenem Tag einen Preis „Für besonderes Engagement mit Herz und Sachverstand“.
Die Sprechstunden werden meist von Dolmetschenden begleitet – ihrer Arbeit besteht nicht nur darin, Wort für Wort zu übersetzen, sondern häufig auch (kultur-)spezifische Kontexte aus dem Herkunftsland zu vermitteln. Frau Mirvete Iberdemey, Dolmetschende, erzählt anschaulich, was das Dolmetschen in therapeutischen Gesprächen bedeutet. Als Brücke zwischen Klient*innen und Therapeut*innen ist sie regelmäßig mit schwer belastenden Inhalten konfrontiert. Da sie erlebe, was für traumatisierte Geflüchtete alles getan werden kann, gilt ihr Dank dem MVZ „einem Hoffnungshaus mit vielen Sternen“.
Mit vielen Institutionen in Cuxhaven und der Region konnte in den letzten Jahren eine gute Zusammenarbeit und ein gutes Netzwerk aufgebaut werden. Herausfordernd ist leider nach wie vor die unzureichende Bereitschaft der Zusammenarbeit mancher Fachkolleg*innen und -Praxen.
Als Resümee, wie in den vergangenen sechs Jahren die Integration in das medizinisch therapeutische System gelungen ist, fasst Ulrike Amoneit, Dipl.-Sozialarbeiterin (MVZ) zusammen: „Nach wie vor zeigt die Region eine deutliche Unterversorgung.“ Es gibt zu wenige Therapieplätze, gleichzeitig müssen manche Klient*innen 3 Stunden Fahrweg und mehr auf sich nehmen, um die Psychologische Sprechstunde und fachärztliche und therapeutische Behandlungen in Cuxhaven wahrzunehmen; an entsprechend hohem Aufwand und hohen Fahrtkosten scheitert eine regelmäßige Therapie und Behandlung oft. Ein großer Wunsch wäre es daher, mehr niedergelassene Fachärzt*innen und Therapeut*innen mit ins Boot zu holen, damit eine wohnortnahe Versorgung ermöglicht wird.
Zum Abschluss ihrer Rede trug Frau Hurtado der Runde das bewegende Gedicht „Zuhause“ von Warsan Shire vor. Es sind nur wenige Zeilen, aber das Ausmaß, was es bedeutet, die Heimat verlassen zu müssen, erreicht die Zuhörenden in ihrer Komplexität tief ins Herz.