Das Fachgebiet „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ ist für die Diagnostik und Behandlung, Prävention und Rehabilitation von Erkrankungen und Leiden zuständig, die maßgeblich durch biopsychosoziale Wechselwirkung entstehen. Seine Arbeitsweise ist grundsätzlich zuwendungs- und beziehungsorientiert. Charakteristisch ist eine somatopsychosozial-ärztliche Koordination und Konsiliarfunktion.
PSYCHOSOMATISCHE MEDIZIN UND PSYCHOTHERAPIE
Dieses Fachgebiet gewinnt in dem Maße immer mehr an Bedeutung, wie die Akzeptanz dieses ärztlichen Betätigungsfeldes und die Zahl der psychosomatisch erkrankten Patienten zunehmen. Im Dezember 2010 betrug die Zahl der berufstätigen Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie 3.981, davon 3.089 ambulant in Praxen (gemäß Bundesarztregister).
Bereits 1991 ergab eine Untersuchung im Namen der Bundesregierung durch Professor A. E. Meyer (UKE) zur psychotherapeutischen Versorgung, dass 60 % der Patienten in einer somatischen Praxis in Wirklichkeit psychisch krank sind. Nachfolgende Studien auch durch Krankenkassen (u. a. DAK 2005) bestätigen diese horrende Fehlversorgung.
Die meisten der niedergelassenen 3.089 Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie arbeiten in spezialisierten, häufig psychoanalytisch arbeitenden Praxen, mit Fallzahlen von manchmal 15 Patienten pro Quartal. Der eigentliche Bedarf wird immer deutlicher, das zeigt sich an langen Wartezeiten der Patienten von 6 bis 12 Monaten.
In dieser neuen Realität brauchen die Ärzte mehr als nur eine Couch und einen Anrufbeantworter – vielmehr benötigt der Facharzt für psychosomatische Medizin auch Mitarbeiter, die in der Lage sind, seine Arbeit effektiv zu organisieren und sie mit fachlichen, speziellen (Behandlungs-) Kompetenzen zu ergänzen.
Im Spektrum der psychosomatischen Praxen hat sich ein zunehmender Anteil von Versorgungspraxen von beispielsweise 200 Fällen pro Quartal, manchmal auch deutlich mehr, entwickelt. Psychosomatische Versorgungspraxen, die derzeit unter ökonomischen Nachteilen gegenüber ausschließlich psychotherapeutischen Praxen arbeiten, weisen folgende Versorgungsmerkmale auf:
- Es erfolgt eine fachärztliche und Differenzialdiagnostik zur weiteren Behandlungsplanung.
- Behandlung und sonstige Versorgung erfolgen vorwiegend in der eigenen Praxis, um zu viele Behandlungspfade zu vermeiden.
- Der Anteil der Patienten in einer Richtlinien-Psychotherapie (ein Jahr nach Erstkontakt) beträgt nur etwa 25 %.
- Die Patienten werden sozialmedizinisch umfassend betreut.
- Die primäre somatische (Mit-)Behandlung ist gewährleistet, „Ärzte-Hopping“ und Chronifizierung werden vermieden.
- Die Wartezeit nach dem telefonischen Erstkontakt und dem Ersttermin beträgt i. d. R. etwa 9-11 Werktage.
Zu den nicht-ärztlichen Mitarbeitern gehören Medizinische Fachangestellte, Heilmittelerbringer und Ernährungsberater.
AUFGABEN UND FUNKTION EINER MEDIZINISCHEN FACHANGESTELLTEN IN EINER PSYCHOSOMATISCHEN PRAXIS
Der Kontakt der Medizinischen Fachangestellten mit vorwiegend psychisch kranken Patienten erfordert im Vergleich zu somatischen Praxen, wie zum Beispiel Orthopädie oder Augenarzt, besondere Aufgaben und Fähigkeiten. Im Vergleich zu jenen, welche sich auf den Körper konzentrieren und bei denen die „Gerätemedizin“ zu einem zentralen Aufgabenfeld der Medizinischen Fachangestellten gehört, wird in psychosomatischen Praxen die Seele in den Vordergrund gestellt und auf die individuelle Psyche der Patienten eingegangen. Das verlangt den MFAs ein hohes Maß an Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen und Hingabe ab, aber auch Klarheit (Fähigkeit zur Abgrenzung).
Wenn ein Patient sich oft nach jahrelanger Odyssee zum Besuch beim Psychosomatiker durchgerungen hat und die Praxis betritt, ist die Medizinische Fachangestellte sein erster Kontakt: gerade an der Anmeldung müssen die Medizinischen Fachangestellten individuell auf jeden Patienten eingehen und diesem das Gefühl geben, ernstgenommen zu werden und gut aufgehoben zu sein.
Viele Patienten fürchten, eine Art „Schande“ zu tragen, wenn sie sich in psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung geben; 70 % der psychisch erkrankten Patienten sagen: „Ich bin doch nicht verrückt!“ Diese Schwellenangst zu beschwichtigen und nach Möglichkeit auszuschalten, ist eine Aufgabe der Patientenbegleitung.
Nachdem der Patient körperlich vermessen wurde, wird der Anamnesebogen zusammen mit der Patientenbegleitung, einer ausgebildeten MFA, ausgefüllt. Sie ist damit die erste Person im Behandlungsspektrum, die auch persönliche Informationen von dem Patienten erhält, was oft genug in einen wahren Redeschwall mündet. Der somit gewonnene erste Eindruck vom Patienten kann in der Therapie weiter verwendet werden. Weiterhin ist die Medizinische Fachangestellte in das multiprofessionelle Team eingebunden und nimmt an Teamsitzungen, Fallbesprechungen und Supervisionen teil.
Durchschnittlich brechen etwa 30 % der Patienten ihre Therapie ab bzw. nehmen die Termine nach dem Erstkontakt nicht wahr. Oft folgt die Begründung, man habe es sich „anders überlegt“. Viele Patienten sind schlichtweg überfordert mit dem Verfahren der Richtlinien- Psychotherapie, viele fragen sich außerdem: „Was haben meine körperlichen Probleme mit der Seele zu tun?“
Auch verstehen viele Patienten nicht, was der Arzt ihnen sagt, sind aber zu scheu nachzufragen. Oftmals entsteht so das Gefühl, „meine Probleme werden nicht verstanden“
und „man versteht mich nicht“, was frustriert und meist einen Therapieabbruch bewirkt. Die Patientenbegleitung übersetzt und erklärt diese „Arztsprache“ in die „Sprache des Patienten“. Indem sie durch ihre Fürsorge den Patienten an die Praxis bindet und ihm Verständnis und Geborgenheit vermittelt, kann durch die Patientenbegleiterin die Abbrecherquote deutlich reduziert werden. Auch im weiteren Behandlungsverlauf begleitet sie den Patienten als Ansprechpartnerin bei Fragen vor allem allgemeiner Natur.
Die Arbeit, insbesondere in einem multiprofessionellen Medizinischen Versorgungszentrum, macht es außerdem nötig, die Behandler zu koordinieren, da die Patienten vom „Fallmanager“ (der behandelnde Arzt) und von verschiedenen Therapeuten behandelt werden.
Darüber hinaus ist ein sehr hohes Maß an Diskretion notwendig; vielfach sind Menschen ohne das Wissen ihres nahen Umfeldes, wie Partner, Eltern oder Kinder in psychotherapeutischer Behandlung – und wollen, dass es vorerst so bleibt! Gerade am Telefon ist Geistesgegenwart
geboten; wenn ein Patient beispielsweise über eine Terminänderung informiert werden soll, und die Ehefrau nimmt ab, kann man nicht einfach sagen, ihr Mann sei in Behandlung und ihn damit später in eine peinliche Situation, wenn nicht schlimmer, bringen.
Das Fachgebiet der Psychosomatik ist als ein sehr junges Fachgebiet noch zu wenig akzeptiert und durch grundsätzliche strukturelle Nachteile in seiner Arbeitsweise eingeschränkt.
Ein kritischer Punkt ist hierbei das Fehlen einer angemessenen Bedarfsplanung für Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie; in der aktuellen Bedarfsplanung fehlt die Trennung der ärztlichen Psychotherapeuten von den Nicht-Ärzten.
Insgesamt wird das Potenzial des Fachgebietes Psychosomatik noch zu wenig ausgeschöpft. Ihre Wirkungsmöglichkeiten direkt an der Schnittstelle von Körper und Seele sind in der allgemeinen Wahrnehmung (Patienten und Fachöffentlichkeit) nicht ausreichend profiliert. Dabei wären sie mit ihren internistischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Kompetenzen, gewonnen durch fünf Jahre Facharzt-Ausbildung, ideal geeignet, eine ganzheitliche Medizin zu realisieren und Kolleginnen und Kollegen anderer Fachgebiete zu beraten.
INTERVIEW MIT JESSICA NOWATZKY – MFA DES MEDIZINISCHEN VERSORGUNGSZENTRUMS FÜR KÖRPERLICHE UND PSYCHISCHE GESUNDHEIT TIMMERMANN UND PARTNER IN CUXHAVEN
Seit wann arbeiten Sie in dieser Praxis?
Seit Februar 2010.
Was empfinden Sie als das Besondere an dieser Praxis?
Ich empfinde die Arbeit als sehr abwechslungsreich. Man bekommt Einblicke in viele verschiedene Bereiche.
Wie empfinden Sie Ihre persönliche Arbeitszufriedenheit in der Praxis?
Es gibt sehr viel Arbeit; man ist gefordert und manchmal auch sehr angestrengt. Wenn genug Personal zur Verfügung steht und die Belastung geringer ist, dann macht die Arbeit auch richtig Spaß!
Wie schätzen Sie die Entwicklungsmöglichkeiten als MFA ein?
Ich habe mit einem Praktikum hier begonnen. Das hat mir so gefallen, dass ich eine Ausbildung zur MFA hier begonnen habe. Bei Ende der Ausbildung wurde ich übernommen und habe nun die Leitung des Anmeldebereiches.
Wie erträgt man die speziellen Belastungen, die im Umgang mit psychisch kranken Patienten entstehen?
Wir MFAs sprechen unter uns über die Fälle, die uns belasten, und wälzen es nicht in uns selbst herum. Das Gespräch mit Arbeitskolleginnen entlastet!
Was schätzen Sie am meisten an dieser Praxis?
Da wären die Mitarbeiter! Das Arbeitsklima, nicht nur mit den MFAs, sondern auch mit Ärzten und Therapeuten ist sehr gut. Auch das Arbeiten mit den Patienten bereitet mir große Freude.
Was gefällt Ihnen hier nicht?
Wir müssen viele Sachen, die eigentlich viel Zeit und Sorgfältigkeit, auch Planung benötigen würden, „so nebenbei“ machen, es fehlt oft einfach die Zeit.
INFO
Eine multiprofessionelle Versorgungspraxis zeichnet sich durch diese Arbeitsweise aus:
- Multiprofessionell
- multimodal (biopsychosozial)
- familiennah
- gemeindenah
- Kind als Symptomträger der Familie
- generationsübergreifend.
Im Idealfall sind folgende Berufsgruppen beschäftigt:
- Diplompsychologen
- Weiterbildungsassistent (Psychosomatische Medizin)
- Arzt-Psychotherapie
- Diplom-Pädagogen
- Sozialpädagogen/Sozialarbeiter
- Heilpädagogen
- Logopäden
- Ergotherapeuten
- Physiotherapeuten
- Medizinische Fachangestellte (Arzthelferin)
- Gesundheits- und Krankenpfleger
- Ernährungsberater/in
- Bürokauffrau/-kaufmann.
Auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 16. Bis 19. März 2016 in Potsdam werden die Medizinischen Assistenzberufe in Form von Vorträgen und Wissenschaftlichen Symposien vertreten sein. Nähere Informationen finden Sie unter http://www.deutscher-psychosomatik-kongress.de/.