Auch dieses Jahr hat Herr Timmermann gemeinsam mit dem Vorstand des DGPM Niedersachsen 3 Studenten die Möglichkeit gegeben, am jährlich stattfindenden Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie teilzunehmen. Von einem der 3 Gewinnerinnen und Gewinnern möchten wir gerne einmal den liebevoll geschriebenen Kongressbericht präsentieren. Wir bedanken uns sehr herzlich für den tollen Beitrag.
Kongressbericht zum Psychosomatikkongress 22. – 24. März 2017
Psyche – Soma, Mensch – System
Über viele Monate habe ich diesem Ereignis entgegengesehen, meinen Horizont zu erweitern und neues zu lernen aus diesem sehr wichtigen und zukunftsträchtigen Gebiet der Medizin.
Die Fachveranstaltungen (abgesehen von Fortbildungen) fanden alle im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin statt; im Foyer hatten zahlreiche Kliniken und Fachgesellschaften sowie Fachbuchverläge ihre Stände ausgebreitet und den interessierten Teilnehmer mit Informationen versorgt.
Im State-of-the-Art-Symposium zur Kinder- und Jugendpsychosomatik habe ich mir zunächst einen Überblick über Präventionsprinzipien und –Strategien im Familienumfeld, mit Fokus auf alleinerziehende Eltern verschaffen können, und habe die Wichtigkeit familienorientierter Prävention zur Kenntnis genommen, sowie dass das Angebot mit besserer Kooperation mit Kitas u.ä. sowie das Wahrnehmen der Angebote durch Betroffene ausbaufähig sind.
Anschließend wurden erste Ergebnisse zur Traumapsychotherapie bei geflüchteten Kindern unter Zuhilfenahme von sog. TraumaHelfern präsentiert; ich habe im Vorfeld an einem entsprechenden Kurs zum „TraumaHelfer“ teilgenommen und durfte erste wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit des Regensburger Programms zur Kenntnis nehmen, nämlich dass bei den behandelten Kindern im Prä-Post-Vergleich signifikante positive Effekte zustande gekommen sind – eine größere Probengröße wird jedoch notwendig sein, um diese Tendenz zu bestätigen.
In Überleitung von den durch ADHS-Symptome geprägten Flüchtlingskindern wurde nun das in allgemeiner wie ärztlicher Öffentlichkeit kontrovers diskutierte Thema ADHS angegangen, in diesem Falle aus psychiatrischer Perspektive. Erfrischend war der vom recht jungen Vortragenden vorgebrachte Wunsch zur Beilegung der „Rivalität“ zwischen Psychosomatik und Psychiatrie (in welcher auch nicht sofort die „Medikamentenkeule“ gegeben werden sollte).
In der Mentoring-Veranstaltung vom Jungen Forum wurden Hinweise und Tipps hinsichtlich der Weiterbildung zum Facharzt der Psychosomatik gegeben, auch im Hinblick auf die – mögliche – neue Weiterbildungsordnung.
An den Vormittag anschließend wurden im Satellitensymposium der Sektion Kinder- und Jugendlichenpsychosomatik verschiedene Aspekte vertieft, einerseits durch das Vorstellen der Fragebögen, mit welchen, in verschiedenen gängigen Sprachen, das Umfeld des Flüchtlingskindes, wie Lehrer, Eltern, oder Selbstauskunft), ihre Eindrücke über das Kind abgeben können; hierin könnte auch eine Möglichkeit der Therapieerfolgsevaluation bestehen; andererseits wurde Wir2, vormals Palme, als Programm vorgestellt, mit welchem alleinerziehenden Eltern ein effektives Elterntraining zur Verfügung gestellt werden kann; die gemessenen Erfolge und die gute Zusammenarbeit mit Rehaeinrichtungen bieten eine gute Ausgangsstellung für eine Ausweitung des Programms.
Außerdem wurde die wichtige Bedeutung sozialer Koordinationsmaßnahmen in der KiJu-Psychosomatik herausgestellt, in welche um den Arzt herum zunächst ein innerer Helferkreis vornehmlich in Form von Sozialarbeitern/-Pädagogen, aber auch Therapeuten bestehen kann, welche mit einem äußeren Helferkreis zusammenarbeiten und auf diese Weise einen entscheidenden Beitrag zum Therapieerfolg und zur Sicherung desselben leisten.
Am nächsten Morgen habe ich im State-of-the-Art-Symposium zur Therapeutischen Beziehungsgestaltung zwei moderne Ansätze kennengelernt, um mit Brüchen im Arzt-Patienten-Verhältnis umzugehen.
Die motivorientierte Beziehungsgestaltung beruht auf Vermeidung von Störungen der Therapiebeziehung, indem problematische Verhaltensweisen durch Sättigung der zugrundeliegenden Motive erst gar nicht aufkommen sollen. Dies erfordert ständige Selbstreflexion des Therapeuten und Bedarf (natürlich) der Übung. Im zweiten Teil wurden Strategien vermittelt, wie man als Arzt konstruktiv mit entstandenen Brüchen in der Therapiebeziehung und deren Vorboten umgehen kann. Die Hintergründe, die ich in diesem Vortrag erlernt habe, sehe ich als absolut förderlich für mein späteres ärztliches Handeln an.
Im Symposium zur Therapie hochgradiger Anorexia nervosa wurde zunächst die hohe Inkonsequenz in der Klassifikation offenbar, was epidemiologisch sehr unterschiedliche Gesamtbilder liefern; des Weiteren wurde auf die Problematiken eingegangen welche die Psychotherapie mit sich bringt, und welche Risiken mit der Wiederernährung verbunden sind, zum Beispiel das Refeeding Syndrom, und welche Strategien eine Risikoreduktion erreichen.
Im Mentoring Lunch versuchten verschiedene im klinischen und wissenschaftlichen Umfeld der Psychosomatik Tätige, ihre Auffassungen zur Vereinbarkeit von Familie sowie Forschung und Arbeit (Klinik) darzulegen.
Im Symposium zu Impulsiven Verhaltensweisen wurden mehrere an sich „normale“ Verhaltensweisen diskutiert, ab wann von pathologischem Verhalten zu reden ist und was diesem Verhalten zugrunde liegen mag. Das Pathologische Kaufen, offenbar auf Erhöhung des Selbstwertgefühls durch das Kaufen beruhend, wird insbesondere bei jungen Leuten, vornehmlich weiblich, durch Werbung und das in populären Medien und Zeitschriften propagierte „Kauf-dich-glücklich“-Motto zunehmend bedeutsam; des Weiteren wurde der Konsum von Pornographie vor allem bei Männern thematisiert; erschreckend ist, bei wie vielen jene als unverzichtbar im Leben angesehen wird, und inwieweit das Leben davon beeinträchtigt werden kann. Auch die Internet-Sucht, welche stärker als die voran genannten als pathologisch anerkannt scheint, ist ein brandaktuelles Thema.
Im Wissenschaftlichen Symposium zum Einfluss neuer Medien auf die Kommunikation in der Psychosomatik wurde ebendieses Internet als Möglichkeit diskutiert, um die psychologische Versorgung der Menschen auf eine weitere Ebene auszuweiten. In der kommenden Zeit wäre es mit Sicherheit sträflich, dieses Gebiet zu vernachlässigen, im Gegenteil sollte mit dem Zug der Zeit gefahren und so die Psychosomatik näher an die Leute herangetragen werden – ohne Zweifel besteht in der Instrumentalisierung des Internets eine Chance, um nicht akut Interventionsbedürftigen eine Stütze zu bieten, wie der Vortrag über Selfapy gezeigt hat, gleichzeitig sind klar die Limitationen zu benennen: eine Therapie muss immer den direkten Arzt-Patienten-Kontakt haben.
Der Nutzen wurde anhand einer Untersuchung in elf EU-Staaten mit unterschiedlicher Implementierung von Internet-gestützten Therapie/Unterstützungsverfahren untersucht: die Verfahren mit „echtem“ Kontakt (z.B. über Video-Telefonat) haben gegenüber Verfahren mit weniger Kontakt oder gar keinem „menschlichen“ Kontakt unbestrittene positive Effekte, wohingegen bei letzterem kaum positive Effekte erkennbar waren.
Aus klarem Eigeninteresse heraus erfolgte der Besuch bei „Selbstfürsorge im Arztberuf“. Untersuchungen bei Medizinstudierenden haben je nach Standort unterschiedliche Belastungen und unterschiedlichen Abschnitten des Studiums gezeigt. In Heidelberg beispielsweise liegt im PJ die Burnout-Quote bei bis zu 20%; zum Gegensteuern werden Kurse mit Grundlagen zum Umgang mit Belastungen im PJ- und Arztalltag angeboten. In Gießen sind Studierende vor dem Physikum am strapaziertesten, auch dort gibt es entsprechende Kurse. Jedoch sind mit Sicherheit an vielen Standorten die Studierenden unter ähnlichem Druck, ob es dort entsprechende Programme gibt ist jedoch fraglich – für alle Studierenden wäre es sicherlich gut, die Möglichkeit zum Erwerb „beruflicher Resilienz“ zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Am folgenden Tag gab es unteranderem interessante Untersuchungen zu Essstörungen; besonders eindrucksvoll waren die Zusammenhänge zwischen Nesfatin-1-Rezeptor und Angst bzw. erfolgter Therapie bei Adipositas-Patienten.
Überaus interessant war das Symposium zu Miktionsstörungen – ein eindrucksvolles Beispiel einer Überschneidung der Fachgebiete Psychosomatik und Urologie; es ist beeindruckend, wie viele alltägliche Beschwerden der Urologischen Praxis eine psychische Komponente aufweisen, und wie Psychotherapie und Urologie sich in der Behandlung ergänzen können.
Zum runden Abschluss des Kongresses wurde die Ascona Lecture gehalten. Neben einer Darlegung der aktuellen Forschung zu Platzzellen und deren Verschaltung untereinander war insbesondere die Verknüpfung mit Emotionen und Erinnerungen mit den Ortszellen interessant – jedes Mal beim Begehen eines Ortes werden neue Verknüpfungen erstellt, alte überlagert – ebenso Erinnerungen, was für die Verarbeitung z.B. eines traumatischen Ereignisses unter Psychotherapie eine ganz wichtige naturwissenschaftliche Begründung liefert, ein Beweis, auf welche Weise die erwiesenermaßen wirksame Therapie erklärbar ist.
Ich danke dem Vorstand der DGPM Niedersachsen für diese Möglichkeit der Kongressteilnahme, welche meinen Horizont nachhaltig erweitert und mein Interesse für das Fach Psychosomatik verstärkt hat! Ich werde definitiv eines Tages wieder einmal zu Gast auf dem Kongress sein!